Achtsamkeit im Arbeitsalltag – Kleine Übungen, großer Nutzen
Achtsamkeit ist ein Begriff, dessen Definition intuitiv erscheint. Doch bei genauerer Betrachtung birgt Achtsamkeit eine weitaus größere Komplexität und ein hohes Nutzen-Potenzial. Wie Achtsamkeit den Alltag verändern kann und warum immer mehr Konzerne auf Achtsamkeits-Trainings setzen.
Definition von Achtsamkeit
Der Arbeitsalltag ist heutzutage häufig geprägt von konstantem Wandel, Informationsflut, ständiger Erreichbarkeit, Zeitmangel, Konflikten und Reizüberflutung. Im Fall von Führungskräften kommen die Führung und Motivation der Mitarbeiter, das Fällen wichtiger Entscheidungen und große Verantwortung hinzu. Sich all diesen Herausforderungen zu stellen, führt oft zur Mutter aller Alltagssorgen: Stress.
75 Prozent aller Krankheiten beruhen auf Stress. Was zunächst absurd hoch klingt, belegen Studien, die Stress in Zusammenhang mit Herzinfarkten, Rückenleiden, Migräne, Verhaltensstörungen, Depressionen und Burnout bringen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Fehltage, die auf psychische Leiden zurückzuführen sind, massiv gestiegen. Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sagen aus, dass allein im Jahr 2012 rund 60 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage mit psychischen Erkrankungen begründet wurden. Wenn tatsächlich 75 Prozent all dieser Erkrankungen auf Stress zurückzuführen sind, wirft dies zwangsläufig die Frage auf, ob und wie dieser Stress zu bewältigen ist.
Genau an dieser Stelle kommt Achtsamkeit ins Spiel. Mit ihrer Hilfe kann Stress nicht nur entgegengewirkt werden, vielmehr kann sie ihm sogar vorbeugen. Achtsamkeit, im Englischen mindfulness, ist eine besondere Art von Aufmerksamkeit:
Absichtlich, im Hier und Jetzt und nicht wertend.
Zum besseren Verständnis: Das Gegenteil von Achtsamkeit ist – klar – Achtlosigkeit. Diese wiederum ist gekennzeichnet vom geistigen Verharren in der Vergangenheit, dem Leben im Automatismus, ohne die eigenen Tätigkeiten und Gedanken zu hinterfragen sowie das Festhalten an Negativem.
Bedeutung von Achtsamkeit
Die Definition von Achtsamkeit wirft zunächst mehr Fragen auf als sie beantwortet. Ein paar Negativ-Beispiele können da vielleicht etwas Licht ins Dunkel bringen. Folgende Aussagen sind ein Ausschnitt eines wissenschaftlich geprüften Fragebogens, der MAAS (Mindfulness Attention Awareness Scale), mit der sich anhand von 15 Fragen der eigene „Achtsamkeitswert“ ermitteln lässt. Wer folgenden Aussagen zustimmt, ist höchstwahrscheinlich nicht achtsam:
- Ich erledige viele Dinge in Eile, ohne ihnen wirklich meine Aufmerksamkeit zu schenken.
- Mir fällt auf, wie ich über die Zukunft oder Vergangenheit grübele.
- Es fällt mir schwer, mit meinen Gedanken bei dem zu bleiben, was momentan geschieht.
- Es sieht so aus, als würde ich „automatisch funktionieren“, ohne viel Bewusstsein für das, was ich tue.
- Ich vergesse den Namen einer Person fast sofort nachdem er mir erstmals gesagt wurde.
- Ich esse eine Kleinigkeit, ohne mir bewusst zu sein, dass ich esse.
Mit Namen merken und bewusstem Essen ist es jedoch noch nicht getan. Achtsam zu sein hat eine deutlich weitumfassendere Bedeutung:
- Tätigkeiten wird bewusst nachgegangen, anstatt im „Autopilot“ zu sein. Soll heißen: Die eigene Aufmerksamkeit wird bewusst und absichtsvoll gelenkt, ohne gedanklich abzuschweifen.
- Das Hier und Jetzt zählt. Soll heißen: Die Aufmerksamkeit wird ausschließlich auf die Gegenwart bzw. auf den Augenblick fokussiert. Weder wird in der Vergangenheit Liegendes bedauert noch stehen Sorgen um die Zukunft im Vordergrund.
- Keine Wertung. Soll heißen Bei bewusster Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Gegenwart wird die Situation als gegebene Tatsache aufgenommen, ohne sie als positiv oder negativ abzustempeln.
Wer achtsam ist, kann das eigene Leben „in die Hand nehmen“, Emotion in die erwünschte Richtung lenken und somit die Beziehung zu sich selbst verbessern.
Auswirkungen von Achtsamkeit
Die positive Wirkung auf die körperliche und geistige Gesundheit ist wohl das überragende Argument, das für eine bewusste Berücksichtigung der Achtsamkeit spricht. Der wesentliche Effekt, durch den Achtsamkeit positiv auf die Gesundheit wirkt, ist ihre stressvorbeugende und stressreduzierende Wirkung. Skeptiker aufgepasst: Stressreduktion kann eindeutig physiologisch erklärt werden. Denn durch das im Zuge von Achtsamkeitsübungen praktizierte tiefe Atmen entspannt sich der Körper. Dies stimuliert den im Gehirn sitzenden Vagusnerv, wodurch das parasympathische Nervensystem aktiviert wird. Hierdurch wiederum sinken Herzfrequenz und Blutdruck. Aufgrund dieser Wirkung kann Achtsamkeit auch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle senken.
Aber da hört es noch nicht auf. Achtsamkeit kann zu einer Verbesserung der allgemeinen Gesundheit führen: Wohlbefinden, Lebensfreude, Lebensqualität und sogar Lebensdauer können gesteigert werden. Die Praktizierenden nehmen mögliche Denk- und Handlungsoptionen besser wahr und können entsprechend achtsam handeln. Die Folge sind nicht selten tiefe Gelassenheit, Zufriedenheit im Körper und eine positive Grundeinstellung.
Ausübung von Achtsamkeit im Alltag
Wer an dieser Stelle Blut geleckt hat, mag sich fragen, wie Achtsamkeit erlernt werden kann. Die gute Nachricht: Wer will, kann Achtsamkeit erlernen. Die schlechte Nachricht: Das Erlernen von Achtsamkeit erfordert Zeit – denn sie muss unter kontinuierlichem Praktizieren erlernt werden.
Wer es ernst meint, besucht einen professionellen Achtsamkeits-Kurs, auch genannt MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction). In diesen achtwöchigen Kursen erlernt man anhand von Meditation, Yoga und Atemübungen die Grundlagen der Achtsamkeit. Diese müssen auch außerhalb des Kurses täglich ausgeübt werden. Nach Besuch eines MBSR-Kurses – der übrigens häufig von gestressten Führungskräften besucht wird – ist der Grundstein für ein achtsameres Leben gesetzt.
Einen sanfteren Start bieten diverse Meditations-Apps. Diese leiten beispielsweise durch eine 10-minütige Meditations-Session, in der die Meditierenden teils Anmerkungen zur Durchführung der Meditation erhalten, aber auch einige Zeit der Stille überlassen werden. Auch für das Praktizieren von Achtsamkeit mit Meditations-Apps gilt das Motto „üben, üben, üben“ – und zwar täglich. Schon bald wird spürbar, wie gut diese Pausen im Alltag tun und die ersten positiven Effekte von Achtsamkeit treten ein.
Wer Achtsamkeit zunächst ohne Kosten für sich entdecken möchte, kann dies auf einfache Weise bei Routine-Tätigkeiten im Alltag tun. Nach dem Aufwachen, noch vor dem Griff zum Handy oder dem Aufstehen, hilft ein ruhiges Verharren in sitzender Position. Auf dem Weg in die Arbeit helfen bewusst hintereinander gesetzte Schritte, die bewusste Wahrnehmung von Straßenschildern, ein bewusster Verzicht auf Musik. Abends bietet das Essen Raum für bewusste Wahrnehmung, ebenso das Ausräumen der Spülmaschine oder das Zähneputzen vor dem Spiegel. Das mag banal klingen, doch besonders Routine-Tätigkeiten werden oft im Autopilot und damit achtlos durchgeführt.
In jedem Fall ist es wichtig, diese Achtsamkeits-Übungen regelmäßig durchzuführen. Werden allein drei Routine-Tätigkeiten am Tag achtsam durchgeführt und kommt dazu auch noch Meditation, kann dies im Laufe der Zeit die Achtsamkeit immens erhöhen.
Achtsamkeit für Führungskräfte
Achtsamkeit ist besonders in der Führungskräfteentwicklung stark in Mode. Viele Führungskräfte haben ein großes Interesse an Achtsamkeitsübungen. Doch sie reden selten darüber, denn Stress und dessen Bewältigung gilt häufig als Tabu-Thema. Ein weiterer Grund für Stillschweigen könnte sein, dass viele Achtsamkeit fälschlicherweise mit Esoterik in Verbindung bringen. Doch wird diese Hürde erst einmal überwunden, bieten sich ihnen durch die Ausübung von Achtsamkeit zahlreiche Vorteile.
Achtsamkeit bei Führungskräften fördert deren Führungskompetenzen und Fähigkeit zur Selbstführung. Achtsame Führungskräfte entwickeln eine achtsame Wahrnehmung, die sie feine Signale aus ihrer Umwelt aufnehmen lässt. Sie sind sich ihrer Stärken und Schwächen jederzeit bewusst Diese Selbstreflexion erlaubt es ihnen, weniger impulsiv zu reagieren und vielmehr die eigenen Gedanken und Gefühle ohne Wertung wahrzunehmen. Dadurch kommt es zu weniger impulsiven und emotionalen Reaktionen. Die Führungskraft kann aus Fehlern lernen und empathisch auf Mitarbeiter eingehen, wodurch sich das Arbeitsklima deutlich verbessern und die Wertschätzung gegenüber der Führungskraft steigen kann. Achtsamkeit kann außerdem helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Statt impulsiv zu reagieren, nimmt sich die Führungskraft Zeit für die vorliegende Aufgabe, kann Ablenkungen ausblenden, ihre Gedanken sortieren und sich anschließend auf die zu treffende Entscheidung fokussieren.
Achtsamkeit beim Kunden
Mit Achtsamkeit können auch Meetings, Teamsettings und Konversationen besser gestaltet werden. Wer sich vor einem Meeting zwei Minuten Zeit nimmt und eine Achtsamkeitsübung (wie z.B. tiefes Atmen) durchführt, kann sich besser auf die bevorstehenden Gespräche einstellen, unbelastet ins Meeting gehen und sich konzentrieren – wodurch das Meeting kurz und effektiv geleitet werden kann. Noch besser ist es, wenn das gesamte Team Achtsamkeit praktiziert und vor Beginn kurz innehält. Auch während Meetings oder in – womöglich anstrengenden und kritischen – Konversationen mit Kolleg*innen sind durch die bewusste, wertfreie Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Gegenwart positive Effekte möglich: Achtsamkeit fördert Empathie, wodurch sich die Gegenüber besser verstanden fühlen und sich der Teamgeist verbessert.
Achtsamkeit kann folglich auf viele Lebensbereiche positive Auswirkungen haben. Wird sie in den Alltag integriert, kann sie die gesamte Lebensqualität verbessern. Selbstverständlich ist sie jedoch kein Allheilmittel und es bedarf gewisser zeitlicher und struktureller Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine Wirkung erzielen zu können. Zum Schluss noch ein kleiner Tipp an die Leser*innen: Nach lesen dieses langen Textes einfach bewusst zurücklehnen, eine Minute innehalten und ohne Emotionen den jetzigen Moment wahrnehmen