Drohverlustrückstellungen

Drohverlustrückstellungen – periodengerechte Abgrenzung und Erfolgsermittlung oder überkomplexe Bilanzierungsbeschäftigung?

Drohverlustrückstellungen – periodengerechte Abgrenzung und Erfolgsermittlung oder überkomplexe Bilanzierungsbeschäftigung? 

Die Bilanzierung von Drohverlustrückstellungen ist ein Thema, das bei vielen Unternehmen für Verwirrung und Unsicherheit sorgt. Einerseits müssen Unternehmen für mögliche Verluste aus rechtlichen Verpflichtungen Rückstellungen bilden, andererseits stellt sich die Frage nach der periodengerechten Abgrenzung und Erfolgsermittlung. Doch wie genau funktioniert die Bilanzierung von Drohverlustrückstellungen und welche Auswirkungen hat sie auf die Finanzen des Unternehmens?

Dieser Blog-Beitrag geht insbesondere auf die Anforderungen der IAS 37 ein und erklärt, wie Unternehmen sicherstellen können, dass sie ihren Verpflichtungen gerecht werden und finanzielle Risiken minimieren.

Zielsetzung der bilanziellen Bildung von Rückstellungen in Abhängigkeit der Bilanzauffassungen 

Rückstellungen sind Verbindlichkeiten eines Unternehmens gegenüber Dritten oder außerhalb des Unternehmens stehenden Parteien. Sie werden bilanziell zum Fremdkapital gezählt und entstehen aus vergangenen Ereignissen, bei denen das Unternehmen einen messbaren Abfluss ökonomischer Ressourcen nicht vermeiden kann.

Diese Verpflichtungen sind allerdings im Gegensatz zu den Verbindlichkeiten und Abgrenzungen mit Unsicherheiten versehen, was einerseits die Verpflichtungshöhe und andererseits den Eintrittszeitpunkt der endgültigen Belastung betrifft. 

  • Leistungsverpflichtungen können sicherlich gesetzlich begründet werden wie bspw. Verpflichtungen zur Dekontamination der natürlichen Umgebung nach dem Abbau von Bodenschätzen oder zur Beseitigung von durch das Unternehmen verursachten Umweltschäden oder -verschmutzungen. Ebenfalls zählen hierzu Schadensersatzverpflichtungen durch fehlerhafte Produkte und Nebenwirkungsfolgen von in den Umlauf gebrachten Produkten, da Produkthaftungsregeln und Prüfungsvorschriften vor der Produktfreigabe zu rechtlichen Vorgaben zählen, deren Verletzung oder Missachtung rechtliche Ansprüche an den Verursacher zur Folge haben werden. 
  • Faktische Verpflichtungen können aber ebenso zur Bildung von Rückstellungen veranlassen; dafür sind dann keinerlei gesetzliche Vorgaben oder gar Gerichtsurteile notwendig, sondern es ist ausreichend, dass sich das Unternehmen durch eigenes Verhalten in der Vergangenheit oder durch Veröffentlichungen zur Begleichung bestimmter Verpflichtungen bekannt hat und sich den Verpflichtungen nur noch mit langfristig ernsten ökonomischen Nachteilen entziehen kann. Hierunter fallen vor allem sogenannte Kundenansprüche auf Kulanzzahlungen, welche nur durch gängige Unternehmenspraxis entstanden sind und nicht durch legal festgelegte und einklagbare Ansprüche. 

IAS 37 – Richtlinien zur Buchung von Rückstellungen bei unsicheren Verpflichtungen

Der Abfluss von ökonomischen Ressourcen, der nicht ausschließlich in Auszahlungen bestehen muss, sondern auch durch den Ersatz von schadhaften Produkten durch neue Produkte oder ganz allgemein Arbeitsleistungen ohne Entgelt realisiert werden kann, muss nach IAS 37 wahrscheinlicher als der Verfall der Verpflichtung sein. Die Wahrscheinlichkeitshöhe soll demnach mindestens 50 + x % betragen.

Die mit den einzelnen Verpflichtungsereignissen verbundenen Verpflichtungshöhen als jeweiliges Ausmaß des Ressourcenabflusses müssen ebenfalls klar erkannt und festgelegt worden sein. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, werden sie als Eventualverbindlichkeiten im Anhang zur Bilanz aufgeführt, zusammen mit einer kurzen Beschreibung, einer Schätzung der Beträge und den Bewertungsgrundsätzen sowie möglichen Rückgriffsansprüchen und Ungewissheiten bezüglich Betrag und Zeitpunkt des Ressourcenabganges.

Der Umfang und das Ausmaß der Rückstellungsbildung ist entscheidend von den mit der Aufstellung der Bilanz verfolgten und beabsichtigten Zielsetzungen abhängig. 

  • Die sogenannte statische Bilanzauffassung oder Zielsetzung sieht den vordringlichen Bilanzzweck in der korrekten Darstellung des Reinvermögens des Unternehmens, aus welchem die Gläubiger ihre Ansprüche gegenüber dem Unternehmen befriedigen können. Die Rückstellungen stellen dann Verpflichtungen dar, die das Haftungsvermögen der Unternehmung mindern und Ansprüche anderer Wirtschaftssubjekte darstellen. Hier steht also der mögliche Ressourcenabfluss an Dritte außerhalb des Unternehmens eindeutig im Vordergrund. Diese Interpretation von Rückstellungen wird auch in den IFRS überwiegend verfolgt. 
  • Die zweite Auffassung bezüglich der inhaltlichen Zielsetzung oder des Zweckes der Bilanzierung wird im Gegensatz zur ersten als dynamisch bezeichnet. Diese Bilanzinterpretation weist der Bilanz vor allem das Ziel zu, den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg periodengerecht abzubilden und auszuweisen. Den einzelnen Geschäftsperioden sollen die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidungen und Handlungen zugeordnet werden, welche sich aus diesen Entscheidungen und Handlungen ergeben werden. Bei Rückstellungen ist zum einen das Element der zeitlichen und quantitativen Unsicherheit abzuschätzen und zu berücksichtigen; zum anderen werden bei weit zukünftig anfallenden Zahlungen die Zahlungen abgezinst, um den Zeitwert des Geldes und die Gegenwartspräferenz bei Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu berücksichtigen und diese Zahlungen damit vergleichbar und aggregierbar zu machen.

Rückstellungen werden in der Bilanz als Abgrenzungsposten verwendet, um Aufwendungen, die noch nicht genau quantifiziert oder fällig sind, den Perioden ihrer Entstehung zuzuordnen. Diese Interpretation des Wesens der Rückstellungen umfasst auch die nach statischer Interpretation gebildeten Rückstellungen, die neben dem korrekten Schuldenausweis ebenso der periodengerechten Abgrenzung der Aufwendungen dienen.

Des Weiteren werden hiernach aber auch Aufwandsrückstellungen einbezogen, durch die keine Verbindlichkeiten gegenüber Dritten berücksichtigt werden, sondern die künftige Vermögensminderungen bewerten, welche in vergangenen Perioden wirtschaftlich verursacht worden sind.

Aufwandsrückstellungen sind Innenverpflichtungen des Unternehmens gegenüber sich selbst ohne Außenverpflichtungen und werden entweder durch innerbetriebliche Leistungen und Arbeiten des Unternehmens oder durch Beauftragung und Leistungserbringung Dritter in Anspruch genommen.

Diese Beträge mindern wegen des fehlenden Außenbezuges nicht das Schuldendeckungsvermögen der Unternehmen und werden im Krisenfall der Insolvenz oder Liquidierung nicht mehr anfallen. Aus diesem Grund ist die Annahme der Unternehmensfortführung für die Bilanzierung dieser Positionen unabdingbar. 

Nach IAS 37 sind die Aufwandsrückstellungen, welche nach HGB für unterlassene Instandhaltungs- oder Abraumbeseitigungsaufwendungen gebildet werden dürfen, die notwendig gewesen wären und im nächsten Geschäftsjahr innerhalb der ersten drei Monate bzw. während des gesamten Geschäftsjahres geleistet werden, nicht zulässig. IFRS gibt im Bereich der Rückstellungsbildung und -verbuchung eindeutig der statischen Bilanzinterpretation den Vorrang. 

Drohverlustrückstellungen als Methode der periodengerechten Erfolgsermittlung 

IAS 37.66 ff. definiert sogenannte belastende Verträge, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich aus ihnen ein Verpflichtungsüberhang ergibt, der den aus dem Vertrag zu erwartenden Nutzen übersteigt. Als Bewertungsmaßstab werden dabei die unvermeidbaren Aufwendungen verwendet, welche mit den Erlösen aus dem Vertrag abgeglichen werden. Sollte sich aus diesem Vergleich ein Überhang der Aufwendungen über die Erlöse ergeben ist ausschließlich dieser Überhang als Rückstellung zu passivieren und als Aufwand der betreffenden Periode zu buchen. Im Gegensatz zu den oben angesprochenen Aufwandsrückstellungen besteht hier eine Drittverpflichtung durch das Vertragsverhältnis und den Austausch von Waren oder Leistungen.

Allerdings kann hier nur ein bereits in der vergangenen Periode entstehender und abzusehender Verlust passiviert werden und kein geminderter Gewinn, der sich etwa aus ungünstigen Preisentwicklungen bis zum Abschluss des Geschäftes zu ergeben droht. Die unvermeidbaren Aufwendungen ergeben sich als der betragsmäßig kleinere Wert aus Aufwendungen im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung oder der Aufwendungen durch Entschädigungsleistungen bei Vertragsbruch oder Nichtleistung.

Die Ausstiegsoption muss also rational als vorziehenswürdig angesehen werden, falls durch Marktentwicklungen die ursprünglich geplante Vertragserfüllung ökonomisch noch unattraktiver werden sollte. 

Diese Kategorie der Rückstellungen ist ebenfalls nach HGB zulässig und notwendig und gilt auch hier für mit konkreten Anzeichen für Verlustentwicklungen versehene schwebende Geschäfte, welche sich dadurch auszeichnen, dass die zukünftig erfolgenden Leistungen des Unternehmens nicht mehr durch Gegenleistungen des Vertragspartners gedeckt sein werden. 

Beispiele für derartige Verträge sind Kaufverträge, bei welchen kurz nach Vertragsabschluss der Marktpreis der erworbenen Güter oder Leistungen unter den vereinbarten Preis absinkt, die Waren oder Leistungen dennoch abgenommen werden müssen, Mietverträge für langfristig gemietete Gebäude, die nicht mehr wie vorgesehen genutzt werden können und deren Weitervermietungen unmöglich oder nur zu niedrigeren Mieten möglich sind sowie Fertigungsaufträge, bei denen aufgrund von Festpreisvereinbarungen unvorhergesehene Aufwandssteigerungen nicht an die Abnehmer weiter gegeben werden können. 

Diese Effekte sind frühzeitig bei Auftreten oder Bekanntwerden der geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse komplett in der Bilanz und Ergebnisrechnung des betreffenden Jahres abzubilden, um möglichst periodengerecht die Ergebnisauswirkungen darstellen zu können. Hier steht also wieder die dynamische Bilanzinterpretation auch nach IFRS im Vordergrund. 

Beispiel Drohverlustrückstellungen

Ein Unternehmen hat einen Liefervertrag mit noch zweijähriger Restlaufzeit geschlossen, nach welchem es verpflichtet ist, jährlich 100.000 Stück eines bestimmten Einsatzfaktors zum Stückpreis von 20,00 € zu erwerben. Je Einzelstück des Endproduktes wird eines dieser Stücke verbraucht. Die Gewinnmarge des Endproduktes beträgt 6,00 € je Stück. Sollte der Vertrag zum Ende des Jahres 2015 gekündigt werden, so sind je Restlaufzeitjahr des Vertrages vor regulärem Ablauf Ende 2017 1.000.000,00 € Vertragsstrafe zu zahlen. Es wird erwartet, dass das Unternehmen in 2016 und 2017 insgesamt nur noch maximal 150.000 Stück des betreffenden Endproduktes verkaufen wird. Des Weiteren liegen von dem Einsatzfaktor noch 55.000 Stück im Vorratslager. Der Marktpreis des Einsatzfaktors ist mittlerweile auf 5 € je Stück gesunken, so dass jetzt die noch zu verkaufenden Endprodukte, die Lagermenge, die Mindesteinkaufsmenge, die Produktstückmarge sowie die Vertragseinkaufs- und aktuellen Marktpreise in Verbindung zu den Vertragsstrafen zu bringen sind. Gemeinsam mit diesen Parametern kann die ökonomisch sinnvolle Restfertigungszeit ermittelt werden und der geringste sich ergebende Aufwand als unvermeidliche Aufwendungen dieses belastenden Vertrages als Drohverlustrückstellung zum Ende von 2015 gebucht werden.

Berechnung

Berechnungsbeispiel Drohverlustrückstellungen:

Abbildung: Berechnungsbeispiel Drohverlustrückstellungen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bilanzierung von Drohverlustrückstellungen eine wichtige Aufgabe für Unternehmen darstellt, um finanzielle Risiken zu minimieren und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Dabei müssen Unternehmen sicherstellen, dass sie den Anforderungen der IAS 37 entsprechen und Rückstellungen nur bilden, wenn die Verpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden.

Sie wollen gerne mehr über Drohverlustrückstellungen erfahren und ihr entsprechendes Fachwissen vertiefen und erweitern? Dann nehmen Sie direkt mit einem unserer Expert:innen Kontakt auf. Wir gestalten gerne die Zukunft mit Ihnen.

Grafik Benno Rose

Benno Rose
Solution Engineer – 
Financial Consolidation

Benno Rose hat 25 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Konzernkonsolidierung, Konzern- und Einzelabschlusserstellung sowie Einführung von IFRS, US-GAAP und BilMoG für Konzerne und Einzelunternehmen. Des Weiteren unterstützt und leitet er zahlreiche Projekte zur Implementierung von Abschlusserstellungs- und Konsolidierungsanwendungen wie Hyperion Financial Management, SAP SEM BCS, SAP S/4HANA for group reporting oder Cognos Controller. Seine Mission: Standardkonforme Abschlusserstellung in Echtzeit, um sowohl interne wie externe Interessentenanforderungen und Analyseerfordernisse jederzeit erfüllen zu können.

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