Lektionen einer Expedition: Hardware, Team, Training und Erholung

verovis pflegt ein Selbstverständnis als Bergführer, der Kunden auf hohe und schwierige Gipfel begleitet. Bei der Besteigung eines 7000ers erlebt Programm Manager Johannes Markmann einen Perspektivwechsel aus Sicht des Klienten. Wie sich die Arbeit bei verovis in einer Höhen-Expedition widerspiegelt – Teil 2 der Blogreihe.

Qualität hat ihren Preis – Gute Hardware zahlt sich aus

Eine der ersten Amtshandlung der knorrigen russischen Bergführer im Basislager: Materialcheck. Im Bewusstsein, dass Qualität ihren Preis hat, habe ich im Vorfeld der Tour aufgerüstet. Dreilagige Expeditionsstiefel gegen absterbende Zehen: Check. Massive Daunenjacke, die auch im Schneesturm bei -40 Grad Celsius warmhält: Check. Expeditionsfäustlinge, die Erfrierungen an den Fingern verhindern: Check. Schlafsack, der auch bei arktischen Temperaturen das Überleben sichert: Check. Unzählige weitere Ausrüstungsgegenstände, bei denen die Qualität am Ende über Leben und Tod, Erfolg und Misserfolg, sicher und unsicher entscheidet: Check, Check, Check. „Ich sehe, Du bist bestens vorbereitet“, sagt mein Guide Dima.

Jeder Ausrüstungs-Gegenstand, bei dem ich dem Schwaben in mir nachgegeben habe, bereitet mir im Einsatz Probleme. Mein Schlafsack etwa war zwar nicht einmal halb so teuer wie konkurrierende Produkte – und genauso warm hält er auch. Allerdings ist mein Modell fast doppelt so schwer wie die Konkurrenz und hat ein Packmaß, dem ich nur mit vollem Körpereinsatz und innerlichen Fluch-Anfällen beim Vakuum-Beutel-Stopfen Herr werde. Die preiswerten Daunenschuhe für die Nacht landen – von Löchern durchsiebt – schnel im Müll und werden durch den viel hochwertigeren Innenschuh meiner Expeditionsstiefel ersetzt.

Vermeintlich günstige Berater-Tagessätze wirken verlockend. Häufig geht dies aber zu Lasten der Qualität, worunter am Ende die Fachabteilung und das Projekt leiden. Ähnlich wie meine Daunenschuhe waren die Ausgaben für die Low-Budget-Alternative dann für die Tonne und das Projekt wird eingestampft. Oder das Unternehmen schreibt die bereits entstandenen Kosten ab und entscheidet sich doch noch für die Variante Qualität-hat-ihren-Preis.

Dass die passende Hardware (Ausrüstung) die Performance der Software (Körper und Geist) beeinflusst, ist auch bei der digitalen Transformation von Relevanz. Wer bei der Datenbank-Technologie und Rechenleistung spart, muss mit Performance-Verlusten rechnen, die gleichzeitig zu fehlender Akzeptanz der Projektergebnisse führen. Wer steigende Datenmengen (Schwierigkeitsgrad des Geländes) meistern will, braucht dafür auch eine entsprechende Ausrüstung.

Die richtige Konstellation am Seil – Crossfunktionale Teams bilden

Eine ausgeglichene Seilschaft für den Aufstieg zu bilden, fordert die Disziplin und Empathie aller Beteiligten. Am Ende des Tages kann sich die Seilschaft nur so schnell fortbewegen wie ihr langsamstes Mitglied. Bei normaler Fortbewegung bedeutet das für mich dank meiner vergleichsweise weit vorangeschrittenen Akklimatisierung, dass ich einige Körner sparen kann. Im Falle eines Lawinenabgangs jedoch bedeutet mangelnde Grundgeschwindigkeit eines Einzelnen Lebensgefahr für alle Beteiligten. Eine Anekdote hierzu im ausstehenden Teil dieser Blogreihe.

Die Fähigkeiten und Unfähigkeiten von sieben Abenteuerlustigen verteilen sich in den Verantwortungsbereich von drei Bergführern. Sie müssen die Seilschaften entsprechend der individuellen Erfahrung so aufteilen, dass im Falle eines Absturzes in eine Gletscherspalte die dann fälligen Maßnahmen greifen. Sie müssen die individuellen Fitness-Level zu passenden Konstellationen vereinen. Und sie müssen Persönlichkeiten zusammenführen, auch wenn diese im normalen Leben nicht miteinander harmonieren.

Gerade Moderation und Mediation sind Aufgaben, die häufig in das Aufgabenprofil von verovis-Berater*innen fallen. Denn ob das Projektteam will oder nicht – den Gipfel wird niemand im Alleingang erreichen. Auch im Projekt warten Gletscherspalten, Erschöpfungssituationen und zwischenmenschliche Differenzen, die es zu überwinden gilt. Die richtigen Seilschaften aus verschiedenen Teilkonzernen, Abteilungen und Persönlichkeitstypen zusammenzustellen, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Eine harmonierende Seilschaft zu bilden, ist für die Expedition essenziell.

Training für den Ernstfall – Praxisnah und hands-on

Analog zum Fitness-Zustand weicht auch der Grad der Gletscher-Erfahrung bei den Bergsportlern teilweise massiv voneinander ab.

Das Highlight in meiner Gruppe: Ein 19-jähriger Chinese, der weder Klettergurt noch Steigeisen selbstständig anlegen kann. Selbst Karabiner hat er offensichtlich zuvor noch nie in seinen Händen gehabt. Zum Kichern beim Zuschauen. Zum Zittern beim Bewusstsein, dass seine Unerfahrenheit eine komplette Seilschaft in Lebensgefahr bringt.

Kurz nachdem wir auf rund 4000 Metern die Gletscherzunge erreicht und nur noch blankes Eis unter den Füßen haben, wird die Wanderung zur Expedition. Um alle Expeditions-Mitglieder auf ein Mindest-Level an Wissen zu heben, verbringen wir einen kompletten Tag mit Training am Gletscher. Die Fortbewegung in Steigeisen, Spaltenbergung, Eisklettern mit Steigklemme und Eisschrauben, und Seilknoten stehen auf der Agenda. Das praktisch ausgerichtete Format Live-Demo und direkt Handanlegen (hands-on) ist für diesen Zweck mehr als angebracht. Mit Theorie würde man im Ernstfall nicht weit kommen – beherrschen sollte man sie freilich trotzdem.

Die digitale Transformation ist eine anspruchsvolle Expedition. Um alle Mitglieder auf den Gipfel zu bringen, müssen diese auch alle das nötige Rüstzeug erhalten. Zur Moderation des Change gehört es, allen davon Betroffenen mit professionellen Methoden an die neue Welt heranzuführen und sie zu Beteiligten zu machen. Der Wissenstransfer von Berater*innen (Bergführer*innen) an das Projektteam (Bergsportler*innen) ist ein Muss, das vom Dienstleister angeboten und vom Kunden angenommen werden muss. Die Wahl der richtigen Trainings-Methoden gehört dazu. Möglichst praxisnah, so schnell wie möglich ins Prototyping.

Der Körper braucht Erholung – Wer sprintet, muss auch mal pausieren

Ein Erfolgsgeheimnis für Hochexpeditionen ist ausreichend Erholung. Wer ohne Akklimatisierung vom Basislager Richtung Gipfel aufbricht, riskiert sein Leben. Einen Todesfall, der genau auf zu schnellen Aufstieg zurückzuführen ist, bekomme ich mittelbar mit. Für mehrere Tage liegt direkt neben der Aufstiegs-Route auf rund 5400 Metern die Leiche eines Bergsteigers.

Neben diesem erschreckenden Mahnmal bekomme ich in den vier Lagern zwischen 3500 und 6100 Metern zahlreiche weitere Beispiele mit, dass die Warnungen des Körpers absolut zwingend zu beachten sind. Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, ja sogar Erbrechen können noch medikamentös behandelt werden und sind bei kurzzeitigem Auftreten noch kein Grund zum Abstieg. Sobald sich die Symptome aber dauerhaft erhärten und weitere Ausfall-Erscheinungen (z.B. Schwindel, Taubheitsgefühl, Krämpfe) hinzukommt, ist eine Erholungsphase in niedrigerer Höhe unumgänglich und überlebenswichtig.

Wollen Unternehmen durch Transformationsprojekte in neue Höhen vorstoßen, sollten ebenso die nötigen Ruhe- und Erholungspausen eingelegt werden. Da der Projektalltag für die beteiligten Personen meist parallel zum operativen Betrieb erfolgt – manche Teilnehmer haben vielleicht sogar noch nie zuvor ein Projekt erlebt -, ist die Belastung hoch. Darum sollten im Projektzyklus auch immer wieder Atempausen eingeplant werden, wenn beispielsweise über den Sommer für einen Monat der Betrieb ohnehin nahezu stillsteht. Auch sollten und können nicht alle Übungen in Sprints erfolgen, wenn dazwischen kein Raum für Erholung bleibt.

Als ich nach der Rückkehr vom Akklimatisierungs-Anstieg auf 6100 Meter mein Mittagessen erbreche und ich in Fötus-Stellung in meinem Schlafsack kauere, ist für mich das eindeutige Zeichen zur Erholung gegeben. Statt wie geplant die Zeit bis zum Gipfelversuch auf dem recht angenehmen Camp 1 (4300 Meter) zu verbringen, entschließe ich mich zum zwar wenig beschwerlichen, aber mit rund 15 Kilometer Länge dennoch nervigen Abstieg ins Base Camp (3500m). Am Ende bietet jeder Höhenmeter weniger dem Körper eine bessere Möglichkeit zur Erholung. Und eine warme Dusche – die zweite innerhalb von einer Woche – ist auch noch drin.